junge Welt, 02.11.2002 Psychokrieg um Irak Rußland erwartet baldige Einigung im Sicherheitsrat. USA Falschinformation vorgeworfen Rüdiger Göbel Der UN-Sicherheitsrat steht nach Meinung des russischen Außenministers Igor Iwanow kurz vor einer Einigung über eine neue Irak-Resolution. Bei den Verhandlungen in New York hätten sich die Vertreter der fünf ständigen Mitglieder »in einer Reihe von Streitpunkten angenähert«, erklärte Iwanow am Freitag im russischen Fernsehen. Allerdings gebe es immer noch »ernsthafte Meinungsunterschiede« in der Frage, ob die UN-Waffeninspektionen in Irak »einseitig und automatisch« mit Gewalt durchgesetzt werden sollen, falls sich die Regierung in Bagdad nicht an die Vorgaben der Resolution hält. Eine solche Kriegsermächtigung fordert die US-Regierung. Rußland lehne dies weiter »kategorisch« ab, betonte Iwanow, ohne freilich zu verraten, wie eine Einigung zwischen Washington und Moskau im Detail aussehen könnte. Dies ließen britische UN-Diplomaten in New York durchblicken. Die Verhandlungen liefen auf eine »Anderthalb-Stufen-Lösung« hinaus. Demnach sollte es zwei Resolutionen des Sicherheitsrates geben, eine zu den Waffeninspektionen und eine zweite für den Fall, daß sich Irak nicht an die Vereinbarungen hält. Die zweite Resolution solle aber für die USA und Großbritannien nicht bindend sein, erklärten Londons Diplomaten. Damit wiederum würde die Entschließung ad absurdum geführt werden. Ehemalige Mitarbeiter der UNO gehen in ihrer Kritik an der US-Regierung weiter. Am Freitag warfen sie den USA und Großbritannien vor, bewußt Falschinformationen weiterzugeben, um einen neuen Golfkrieg zu legitimieren. Die sogenannten Beweise dafür, daß Bagdad Massenvernichtungswaffen produziere, seien nicht stichhaltig und zweifelsfrei, sagte der Exkoordinator des humanitären Hilfsprogramms für Irak, Hans von Sponeck, in Berlin. In der Hauptstadt begann im Schöneberger Rathaus ein zweitägiger internationaler Irak-Kongreß, auf dem über Alternativen zu Krieg und Embargo beraten werden soll. Das Bild einer »immanenten Bedrohung durch Irak« sei eine »Fehldarstellung«, betonte von Sponeck. Er habe erst im Juli zwei Anlagen im Irak besichtigt, in denen westlichen Geheimdiensten zufolge biologische Kampfstoffe produziert werden sollen. Bei der Besichtigung habe er mit eigenen Augen gesehen, daß beide Anlagen noch immer zerstört seien. Von Sponeck warf der US-Regierung »Psychokriegsführung« vor. Der ehemalige Chef einer UN-Waffeninspekteureinheit, Scott Ritter, bestätigte, es gebe bis heute keinen eindeutigen Beweis dafür, daß Irak den Bau biologischer, chemischer und nuklearer Waffen wieder aufgenommen habe. »Das sind alles unbewiesene Hypothesen, die um so gefährlicher sind, als sie von Washington als angeblich bewiesene Wahrheiten verbreitet werden.« Er und seine Kollegen hätten bis 1996 zwischen 90 und 95 Prozent der irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen zerstört, sagte der US-Amerikaner. Allein für das Atomwaffenprogramm müßte Bagdad mehrere Milliarden Dollar investieren, um auf den Stand von 1991 zurückzukehren. Das würde leicht entdeckt werden. * Internet: www.irak-kongress-2002.de