Frankfurter Rundschau, 04.11.2002 Alternativen zu Embargo und Krieg Scott Ritter und Hans von Sponeck diskutieren mit der Friedensbewegung den Irak-Konflikt Von Rolf Paasch (Berlin) Verschiedene Gruppierungen der Friedensbewegung haben am Wochenende in Berlin über Alternativen zu Embargo und Krieg debattiert. Vertreter der Opposition Iraks blieben der Veranstaltung fern, weil ihnen Kritik am Regime Saddam Husseins fehlte. Wohl selten haben Mitglieder der deutschen Friedensbewegung einem US-Elitesoldaten so applaudiert wie am Wochenende im Berliner Rathaus Schöneberg. Scott Ritter ist kein Pazifist, sondern ein Ex-Marine, der 1991 gegen Saddams Husseins Truppen kämpfte. Danach wurde er UN-Waffeninspektor und würde Irak auch wieder bombardieren, wenn sich das Regime weiteren UN-Inspektionen widersetzt. Aber bis dahin widerspricht Ritter allen Bestrebungen der Regierung von US-Präsident George W. Bush, die Auflagen zur nötigen Entwaffnung Iraks in ein Mandat für den "Regimewechsel" umzuwandeln. Damit wird Ritter zu einer Figur, dem selbst der Beifall von Mitgliedern der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) oder des Kasseler Friedensratschlags sicher ist. Ende November, so Ritter, seien die US-Truppen am Golf zum Waffengang bereit. Entweder hätten die Kriegsgegner in Europa und den USA bis dahin erreicht, dass die UN-Waffeninspekteure in Irak ihre Arbeit aufnehmen - oder der erste "Präventivkrieg" zu einem Regimewechsel werde beginnen. "Wir sollten rasch vor den US-Stützpunkten in Deutschland protestieren", schlug eine Konferenz-Teilnehmerin vor. Und noch eine Person mit der Autorität eines ehemaligen Amtes trat vor den rund 150 Friedensbewegten im Schöneberger Rathaus auf. Hans von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator für Irak, kann wie kein Zweiter über die Motive und Folgen der verfehlten Embargo-Politik gegen Irak berichten. Von Sponeck beschrieb den dramatischen Anstieg der Kindersterblichkeit und die rapide Verbreitung verschiedener Armutskrankheiten. Zuvor hatte die österreichische Ärztin Eva Maria Hobiger mit Dias von ihrer jüngsten Irak-Reise im Saal für Entsetzen gesorgt: Missgebildete und dahinsiechende Kinder als Folgen von US-amerikanischer Uran-Munition und UN-Embargo. Die Krebsspezialistin erzählte, dass die durchaus heilbare Kinder-Leukämie in Irak nicht behandelt werden könne, weil sich der US-Vertreter im UN-Sanktionsausschuss immer wieder mit dem Argument des "dual use" - einer kriegswirtschaftlichen Verwendung also - gegen die Einführung benötigter medizinischer Geräte sperrt. Von Sponeck sieht darin eine "Bestrafungsmentalität der US-Regierung". Der deutsche Ex-Diplomat ist ein Verteidiger des UN-Systems und baut weiter auf Dialog als Alternative zum Krieg. Direkte Gespräche zwischen den USA und Irak, Gespräche mit der Arabischen Liga, Gespräche zwischen Bagdad und den irakischen Kurden im Norden des Landes müssten die "eklatanten Einmischungen des Westens" ersetzen, empfahl er als Alternative. Es sei die "Beendigung des Dialogs, die uns den Krieg bringt", sagte auch Mudhafar A. Amin, seines Zeichens irakischer Botschafter in London. Fazit seiner allerdings einseitigen Klage über die Verfehlungen westlicher Politik: "Wir haben genug gelitten." Kein Wort über die Brutalität des von ihm vertretenen Regimes, nicht einmal ein vorsichtiger Hinweis auf die doppelte Dimension irakischen Leidens. Der Moderator Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag zog aus diesem Vortrag den Schluss, "wie richtig es war", den irakischen Botschafter einzuladen. Die nicht anwesenden Vertreter von Iraks Exil-Opposition aber hätten nach dem Beifall für den Vertreter Saddam Husseins wohl eher ihre Vermutung bestätigt gesehen, "dass die Kongress-Veranstalter den Irak-Konflikt auf die Frage des Embargos und des drohenden Kriegs reduzieren".