Neues Deutschland, 08.11.2002

»USA dürfen die Vereinten Nationen nicht missbrauchen«
Friedensforscher Jan Öberg verlangt eine Vermittlungsinitiative der EU

Jan Öberg ist Mitbegründer und Präsident der Transnationalen Stiftung für
Friedens- und Zukunftsforschung (TFF) im schwedischen Lund.
Auf dem Internationalen Irak-Kongress »Alternativen zu Krieg und Embargo«
(www.irak-kongress-2002.de), der am vergangenen Wochenende in Berlin
stattfand, sprach Öberg zum Thema »Präventivkrieg oder Dialog und
Zusammenarbeit?«

Frage: Sie vertreten in der Irak-Debatte eine Position, die bisher wenig
Anklang findet. Worum geht es Ihnen?

Eine Weltgemeinschaft, deren Mitglieder sich weiterhin gegenseitig töten,
wenn Probleme auftauchen, hat keine Zukunft. Wir müssen lernen, uns als
zivilisierte Wesen zu begegnen, indem wir miteinander sprechen und Leute
ausbilden, die eingreifen können. Wir können im Jahre 2002 zwar Menschen auf
den Mond bringen und fantastische technische Geräte entwickeln, aber wenn
wir jemanden nicht mögen, greifen wir zur Waffe. Das ist unglaublich
primitiv. Glaubt irgendjemand wirklich ernsthaft, dass die US-amerikanische
Außenpolitik ihre Probleme mit Irak auf diese Weise lösen kann? Indem ein
Land abgeschlachtet wird, nach zwölf Jahren Sanktionen? Das ist barbarisch
und kontraproduktiv. Und es ist todesgefährlich für die westliche Welt
selbst.

Frage: Sie haben kürzlich Irak besucht. Warum? Trauen Sie den Medien nicht?

Überhaupt nicht. Es gibt keine freien Medien im Westen, das ist ein Mythos.
Ich will nicht sagen, dass das für jede Zeitung zutrifft, aber die
Journalisten machen ihre Arbeit nicht ordentlich. Sie sind dafür nicht
ausgebildet. Beim Sport haben sie professionelle Leute, die alles über Sport
wissen. Aber Sie werden feststellen, dass die meisten Journalisten nicht in
der Lage sind, einen Konflikt zu analysieren. Sie berichten über Krieg und
Gewalt, nicht über den Konflikt, der dem zugrunde liegt. Das ist kein
Konfliktjournalismus, sondern Kriegsberichterstattung. Und wenn es einen
Friedensplan gibt, egal wie idiotisch der sein mag, verschwinden sie wieder.
400 bis 600 Journalisten waren in Kosovo, als die NATO einmarschierte. Jetzt
ist so gut wie keiner mehr dort.

Frage: Sie sagen, die Friedensbewegung solle im Falle des Irak-Kriegs einen
Alleingang der USA fordern...

Mein Herz ist mit jedem, der sich für den Frieden einsetzt. Aber es reicht
nicht, nur gegen Krieg zu sein. Alternativen aufzuzeigen ist eine Aufgabe,
die von der Friedensbewegung bisher nicht gelöst wurde. Nein zu Atomwaffen,
nein zu Mittelstreckenraketen… Wir müssen aber »Ja« zu etwas sagen.

Frage: Warum dann diese provozierende Aufforderung?

Natürlich soll dieser Krieg nicht geführt werden. Was ich meine ist, dass
die USA nicht die Vereinten Nationen missbrauchen dürfen. Es ist dumm zu
sagen, es wäre besser, wenn es ein UN-Mandat für diesen Krieg gäbe. Nein,
ist es nicht! Denn dadurch würden die Autorität und die Integrität der UNO
und der UN-Charta untergraben. Wenn die USA verrückt genug sind, so etwas zu
tun, dann sollen sie es allein tun. Darum fordert kein UN-Mandat! Das ist
illegal, unmoralisch und politisch kontraproduktiv. Ein UN-Mandat wäre ein
Feigenblatt für eine kriminelle Handlung. Die UNO muss vor solchen
Verbrechen geschützt werden. Eine Welt ohne eine starke UNO ist eine Welt
des Dschungels.

Frage: Was schlagen Sie vor?

Eine sofortige Vermittlungsinitiative der Europäischen Union. Dänemark
könnte die Initiative übernehmen, denn es hat derzeit den EU-Vorsitz. Gelder
müssen zur Verfügung gestellt werden, damit Gruppen nach Irak reisen und
umgekehrt irakische Gruppen nach Europa kommen können. Der Dialog und die
Diplomatie der Bevölkerung gewährleisten eine bessere Verständigung. Eine
Vermittlergruppe mit Javier Solana und Chris Patten muss Kontakt zur
irakischen Regierung aufnehmen. Sie sollen sich das Land ansehen, damit sie
das Problem verstehen. Keiner der politischen Entscheidungsträger versteht
Irak, denn es gibt keinen Austausch mit irakischen Politikern. Wer jemals
mit Konfliktlösung zu tun hatte weiß, dass man den Kontakt halten muss.

Frage: Es heißt, alle Kontakte seien abgebrochen wegen des UN-Embargos.

Vor zwölf Jahren wurde die politische Entscheidung getroffen, mit diesem
Land keinen Kontakt mehr zu unterhalten. Die Sanktionen gegen Irak sollten
Schritt für Schritt aufgehoben werden. Solange aber Krieg der einzige Plan
ist, wird es Krieg geben. Es ist eine Schande für Europa, keine Alternative
zur USA-Politik zu haben. Das Problem sind nicht nur die USA, das Problem
ist auch, dass wir als Alliierte und Freunde der USA nichts unternehmen, um
den Amerikanern zu sagen: Es geht auch anders.

(Fragen: Karin Leukefeld )